Kernenergie im Jahr 2024: Q&A
15 Oktober 2024
Q: Nach Angaben der IEA wird die Stromerzeugung aus Kernenergie im Jahr 2024 weltweit ein Allzeithoch erreichen. Was sind die Triebkräfte für dieses Wachstum und was können wir mittel- bis langfristig erwarten?
Es gibt 2 direkte Triebkräfte für diesen Trend: Die Inbetriebnahme neuer Anlagen und, was noch wichtiger ist, die Verlängerung des Lebenszyklus von Kernkraftwerken in den entwickelten Ländern. Der Trend zur Wiederbelebung der Kernenergie begann im Gefolge des Ukraine-Krieges, als die europäischen Gaspreise in die Höhe schossen und die Strompreise auf historische Höchststände trieben. Dies hat die Regierungen dazu veranlasst, Reaktoren wieder in Betrieb zu nehmen, um den Druck auf die Verbraucher zu verringern und die Betriebszeit der bestehenden Reaktoren zu verlängern. 75 von 1091 europäischen Reaktoren erhielten eine solche Genehmigung.
Auf der Nachfrageseite hat der sprunghafte Anstieg des Stromverbrauchs in Rechenzentren die Suche nach stabilen und sauberen Energiequellen vorangetrieben, wovon die Kernenergie profitiert, die für ihre Beständigkeit und ihren geringen Kohlenstoff-Fussabdruck bekannt ist2. Microsoft und der US-amerikanische Energieversorger Constellation Energy haben eine Vereinbarung zur Wiederbelebung eines Blocks des Kernkraftwerks Three Mile Island in Pennsylvania unterzeichnet. Die Vereinbarung sieht vor, dass Block 1 des Kraftwerks, der 2019 aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt wurde, vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung wieder in Betrieb genommen wird. Block 2, in dem es 1979 zu einer teilweisen Kernschmelze kam, wird nicht wieder in Betrieb genommen. Constellation plant, etwa 1,6 Milliarden Dollar für die Reaktivierung des 835-Megawatt-Blocks auszugeben, der voraussichtlich bis 2028 in Betrieb genommen wird. Die Vereinbarung sieht vor, dass Microsoft über einen Zeitraum von 20 Jahren Energie aus dem wieder in Betrieb genommenen Block beziehen wird.3
Mittel- bis langfristig gibt es mehrere Trends, die es wert sein könnten, verfolgt zu werden. Wegen des geringen Kohlenstoffausstoßes und der hohen Zuverlässigkeit ist Kernenergie für Länder, die eine stabile Stromversorgung anstreben, sehr begehrt. China ist der offensichtliche Hotspot, mit 26 Reaktoren im Bau und weiteren 41 in Planung4. Indien ist ein weiterer bedeutender Akteur, der seine Energieressourcen mit Kernenergie erweitern möchte, aber seine Ambitionen bleiben vorerst hinter denen von China zurück.
Eine weitere wichtige Entwicklung ist das Aufkommen der kleinen modularen Reaktoren (SMR). Dank ihrer kompakten Größe können SMRs an abgelegenen, für größere Reaktoren ungeeigneten Standorten installiert werden. Das bedeutet, dass sie näher am Endverbraucher bereitgestellt werden können, wodurch Übertragungsverluste reduziert und die Zuverlässigkeit der Stromversorgung verbessert werden. Gleichzeitig ermöglicht der modulare Charakter von SMRs das Hinzufügen zusätzlicher Blocks je nach Bedarf und bietet somit eine bessere Skalierbarkeit, kürzere Bauzeiten und potenziell niedrigere Investitionskosten, wodurch eines der größten Probleme der Nuklearindustrie angegangen wird – die Baukosten. Allerdings gibt es noch zahlreiche Hindernisse, die einer breiten Akzeptanz von SMRs entgegenstehen:
- Regulatorisch: Kernkraftwerke müssen strenge behördliche Genehmigungsverfahren durchlaufen, wobei der aktuelle Rechtsrahmen hauptsächlich auf Großreaktoren zugeschnitten ist.
- Finanziell: Obwohl SMRs darauf ausgelegt sind, langfristig kosteneffizienter zu sein, erfordern sie aufgrund ihrer relativen Neuartigkeit hohe Kapitalinvestitionen in Forschung und Entwicklung sowie Tests und Genehmigungen, und die Beteiligung der Regierung ist dabei sehr begrenzt. Höhere Zinsen und Materialkosten machen sich ebenfalls bemerkbar und die Schätzungen für einige der bestehenden Projekte wurden nach oben korrigiert.
- Sozial: Öffentliche Skepsis, insbesondere in Regionen mit höherer Konzentration von Menschen
- Technologisch: Begrenzter Einsatz in der Praxis, unterentwickelte Lieferketten und mögliche Probleme bei der Netzintegration
Q: Welche Auswirkungen hat das auf Uran? Nach einer mehr als zwei Jahre andauernden Rallye, die den Preis auf über 100 US-Dollar pro Pfund hochgetrieben hat, scheint sich der Markt für diesen Rohstoff stabilisiert zu haben. Wie sehen Sie die Zukunft?
Q: Eine Chance, aber auch einige Risiken. Gehört die Geopolitik dazu, angesichts der Nutzung des Rohstoffs?
Die führenden Uranakteure schließen Lieferverträge in der Regel 2-3 Jahre im Voraus ab. Angesichts der geopolitischen Turbulenzen suchten osteuropäische und finnische Kraftwerke mit Reaktoren aus der Sowjet-Ära händeringend nach Ersatz für den russischen Brennstoff und zahlten einen Aufschlag, um die Uranversorgung zu sichern. Seitdem sind die Spotpreise für Uran gesunken, aber der langfristige Vertragspreis für Uran ist stetig gestiegen, von 72 USD Anfang 2023 auf 81,5 USD im August 20245.
Obwohl sich die kurzfristigen Versorgungsprobleme gelöst haben, bleibt die Geopolitik ein Thema für den Sektor. Die Lieferprobleme mit Kasachstan (~40 % der weltweiten Produktion) bestehen weiterhin, da der größte Teil des kasachischen Urans durch Russland transportiert werden muss, und die politische Situation in Niger (~20 % der französischen Uranlieferungen) bleibt kompliziert.
1 Quelle: Reuters, “Nuclear Aged”, 2023.
2 Quellen: EIA Kapazitätsfaktor-Daten; World Nuclear Association, Intergovernmental Panel on Climate Change, basierend auf Gesamtemissionen.
3 Quelle: Reuters.
4 Quelle: China Nuclear Energy Association (CNEA).
5 Quelle: Cameco, https://www.cameco.com/invest/markets/uranium-price
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